Mein Kind, Corona und ich

Nicht schon wieder so ein langweiliger “Zuhause-mit-Kind-in-Zeiten-von-Corona”-Blog-Beitrag! Nein keine Angst, ich stehle deine wertvolle Home-Schooling-, Sesselkreis-, Familienkuschel-Zeit nicht mit einer komplett langweiligen Alltagsbeschreibung meines für dich komplett irrelevanten Lebens, die dich wiederum nur dazu treibt, schnell wieder in die heile Social Media-Welt abzutauchen, die dir wieder bestätigt, wie schön es eingesperrt mit Kind daheim gerade so ist.
Dieser Beitrag ist für alle Mamas (oder Papas), die gerade heulend zu Hause sitzen, weil sie nicht mehr können, oder weil sie denken, mit ihnen ist etwas falsch, da sie die Meinung “Ich genieße die Zeit mit der Familie zuhause gerade soooo” nicht teilen können.
Dem Feind ins Auge schauen
Reden wir mal Klartext. Wir sind im Moment 24/7 für Wochen, Monate zuhause mit 1, 2, 3, 4 oder vielleicht sogar einer unendlichen Anzahl an Kindern und vielleicht auch mit dem zweiten Erziehungsberechtigten, der ja die Jahre zuvor noch nicht mal einen Tau davon hatte, wie es ist, Vollzeit Kinder zu betreuen, demnach gerade ins kalte Wasser geschmissen wird und schon nach dem ersten Tag einen Nervenzusammenbruch erleidet. Wenn man jetzt nicht von Klein auf den großen Traum hatte, sich später mal als Mensch komplett für andere kleine Menschen aufgeben zu dürfen, findet vielleicht nicht wirklich die große Erfüllung in der Familien-Exklusiv-Zeit. Weil das große Eltern-Tankstellen-Konglomerat: Soziale Kontakte, ausgiebige Shopping-Touren, kleine Weg-von-Allem-Urlaube, Eltern-Selbsthilfegruppen einen Komplett-Ausfall erlitten hat.
Wir stehen morgens auf und sehen dem Feind ins Auge: Das Kind, das nun nicht nur von einem erwartet, das perfekte Elternteil zu spielen, sondern nun auch die Rolle seiner weggefallenen sozialen Kontakte einzunehmen: Krabbelstuben-Pädagogin, Oma, Opa, Tante, Onkel, gleichaltriger Spielkamerad, andere (bessere) Mama des Spielkameraden, nette Dame an der Kassa, freundliche Menschen beim Einkaufen usw.
Daneben müssen wir vielleicht auch noch Home Office erledigen und den Haushalt schmeißen, der aufgrund des anwesenden zweiten Erziehungsberechtigten noch schlimmer aussieht und zur Sisyphos-Arbeit mutiert.
Anleitung zum Überleben
Dann lese ich im Internet und höre um mich herum, wie schön es nicht ist, endlich mal nur Zeit mit den Kindern zu haben, vormittags Leserunden zu veranstalten, um nachmittags ins Aktivprogramm zu wechseln. Das einzige, was derzeit bei mir aktiv ist, ist mein Stresspegel und gelesen wird nur Literatur, die mich in diesen Zeiten davon abhalten soll, mein Kind psychisch zu zerstören. Weil eines muss ich schon sagen: So ein Kind in der Trotzphase und noch dazu in einer Situation, die es spürt, aber noch nicht verstehen kann, kann nun wirklich nichts dafür wenn die im Hirn ansässige Amygdala das Stammhirn in Sekundenbruchteilen Angriff und Flucht vermittelt und sich das schreiende Kleinkind gar nicht mehr auskennt, was mit seinen Gefühlen da gerade vor sich geht. Vielmehr ist es mein Problem, dass ich das nicht 1.000 Mal am Tag begleiten kann (weil ja keine Energie-Tankstelle, und generell keine Lust dazu), im Gegensatz den Corona-Super-Mamas.
Der Feind in meinem Bett
Das bringt uns zum eigentlichen Problem dieser Corona-Zeit: Der wahre Feind ist nicht das Kind, das uns an neue Grenzen treibt, auch nicht der zweite Erziehungsberechtigte mit Nervenzusammenbruch, der erst jetzt weiß, dass der Geschirrspüler das Geschirr nicht automatisch einräumt. Der wahre Feind ist mein kindliches Ich. Der kleine Wut-Zwerg in mir, der ständig mit den Füßen stampft und sagt “Ich will aber!” und “Ich will aber nicht!”. Der bösartige Diktator, der sich denkt “Du machst das jetzt, wie es mir passt, weil ich groß bin und du klein.” Das geschädigte Selbst, das sich denkt “Verdammt, was bin ich doch für ein Wrack!”. Erstmals wird man jetzt gezwungen, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Und das ist oft schmerzhaft und anstrengend und das Schlimmste: Man kann sich selbst nicht aus dem Weg gehen.
Was man aber auf jeden Fall sagen kann: Man wird gestärkt aus dieser Erfahrung herausgehen, sollte man sie psychisch überleben und sich seinem eigenen Ich mutig gestellt haben.
Mein Kind, weil es checkt: Mit anderen Kindern spielen ist doch viel besser, als auf Mama zu kleben.
Mein Mann, weil er merkt: Ich wertschätze meine Frau dafür, dass sie seit der Geburt noch halbwegs bei Sinnen geblieben ist.
Und ich, weil ich viel über mich lerne (und dem Impuls für selbsterkorene Singrunden und Turneinheiten nicht nachgegeben habe).
6 Comments
Wir hatten ebenfalls das Problem …. Trotz Impfung und Co. haben Sohn, Tochter, Mama und anschließend ich Corona bekommen. Wir hatten alle glücklicherweise nur leichte bis gar keine Symptome, ABER – das zu Hause “eingesperrt” sein und rund 24 h aufeinander zu sitzen war brutal … Irgendwann gehen einfach die Ideen aus 😉
Oh ja! Diese Ausnahmezustand hat viele Familien zur Weißglut gebracht. Es war für viele Leute nicht leicht durchzustehen. Und wer weiß, was noch kommt! Auf jeden Fall vielen Dank, dass du deine Erfahrungen so offen geschildert hast. Der Beitrag liest sich wirklich sehr gut!
Hallo,
was für ein ehrlicher Bericht. Danke für diese offenen Worte. Sie helfen und werden mir helfen durch diese Zeit.
Grüße
Rita
Es freut mich, dass du so viel über dich lernen konntest. Und deinem Männe musst du mal in den Arsch treten. Seitdem ich das bei meinem gemacht habe, hilft er sogar bei der Wäsche 🙂
Ehrlich. Schön. Direkt. Den Wut-Zwerg kenne ich auch … und manchmal tut es gut ihn ein “bissel” am Partner auszulassen – gerade weil der Geschirrspüler wie eine Kofferraum aufgeht – nur nach unten. =)
Einer der besten 5 Corona Post, die ich las. Ich komme wieder =)
Wir leben in Italien und haben seit über 2 Monaten Lockdown. Die Schule fängt, wenn überhaupt, erst wieder Mitte September an. Ich weiß nicht, ob ich Mitte September gestärkt aus dieser Erfahrung herausgehen werde. Uns geht es allen nicht so gut. Die Kinder vermissen ihre Freunde, ich vermisse meine Arbeit, die ich verloren habe, dank Corona. Von einem Tag auf den anderen bin ich von Vollzeit-Managerin zur eingeschlossenen Hausfrau geworden. Jeder Tag ist gleich: Frühstück, Waschen, Aufräumen, Homeschooling, Aufräumen, Mittag, Aufräumen, etc. Aber ich tue mein Bestes für meine zwei Kinder, die mich jetzt umso mehr brauchen. Und ich schreibe abends, wenn alle im Bett sind, an meinem neuen Blog. Ein perfektes Lockdown Hobby. 🙂