Mütter sind keine Herdentiere

Wenn man keine Kinder hat, dann hört man ja oft von dieser gefährlichen Müttermafia, die sich vorzugsweise auf Spielplätzen herumtreibt. Deren Mitglieder machen sich gegenseitig fertig und batteln darum, wer nicht mehr bio, montesorri oder sonst was ist.
Dann ist man schwanger bzw. erwartet ein Kind und hört auch in allen Kursen davon: Haltet euch von den Spielplatz-Mamis fern! Dem gegenüber steht eine ganz andere Mamagruppe – die Mama-to-be-Gruppe. Meistens Freundinnen, mit denen man das Karenzleben, also die unendliche Freizeit, so intensiv wie möglich auskosten möchte. Da kann man sich dann ja mindestens einmal am Tag zum Spazierengehen treffen, einmal in der Woche Essen gehen, alle zwei Wochen zu einem gemeinsamen Kurs und einmal im Monat mal Freigang ohne Kinder haben. So die Theorie.
So. Dann hat man ein Kind.
“Mama-to-be-Gruppe” aka Freundinnen-Herde
Tägliches Spazierengehen scheitert am jeweiligen eigenen Alltag – man steht auf, versucht das Kind erstmal sauber und schön zu machen, kommt nach 2 Stunden, in denen schon wieder das nächste Schläfchen ansteht, dann erst mal dazu, sich selbst anzuziehen und wenigstens schnell die Zähne zu putzen. Schminken wird ohnehin überbewertet – sieht einen ja eh keiner beim Spaziergang und wenn doch, wird man dank der fehlenden Maskerade nicht erkannt.
Dann ist man mal tagesfertig und es ist ungefähr Mittag. Das Kind wieder munter, gehört nun mal gefüttert, während man selbst drauf kommt, noch nichts gegessen zu haben. Also schnell während Kindergeschrei Reis mit Käse und einer verschrumpelten Paprika kombiniert und reingeschaufelt, ist das Kind auch schon wieder müde und muss zum nächsten Schläfchen niedergelegt werden. Man hat ja noch lange nicht die Sachen für den Spaziergang hergerichtet und zusammengepackt. Schließlich wohnt die Freundinnen-Herde ja ein paar Autominuten weg, das muss schon organisiert werden, wenn von Gitterbett bis Wickelkommode alles mit muss! Auf jeden Fall dämmert es dann, wenn man endlich dazu bereit wäre, den gemeinsamen Spaziergang anzutreten. Und diesen Stress täglich antun? Nein danke. Ist man nach einiger Zeit dann mit dem Kind geübt, geht das schon etwas besser. Nur verlangt das Kind dann soviel Aufmerksamkeit, dass die Mamas dann statt spazieren gehen fix und fertig nebeneinander sitzen und sich mit dem eigenen Kind abplagen, dazwischen werden Wortfetzen getauscht und Reste vom Reis-Käse-Gemüse geknabbert. Manchmal versucht man auch etwaige Mordversuche unter den Kleinen zu vereiteln. Gemeinsam einsam – wie schade.
Essen gehen – tja, diesen Traum hat man damals noch ohne Baby geträumt. Versucht mal mit schreiendem Baby am Schoß, das ständig in euer Essen greift, selbst was abzubekommen. Gemeinsame Kurse scheitern an inkompatiblen Baby-Schlaf-Zeiten und die Mama-Abende werden meistens durch ausgedehnte Zubett-Geh-Rituale mit dem Nachwuchs stark planungsbedürftig. Meine Herde zieht also ohne mich weiter.
Spielplatz-Herde aka “Spielgruppen”
Von Spielplätzen halte ich mich brav fern. Doch niemand hat mich vor Eltern-Kind-Runden gewarnt! Ich muss aber sagen, das sind zum Teil wirklich liebe Mamis, die einen eher bestärken und nicht ein schlechtes Gewissen einreden, wenn das Kind nur mit einer moderaten Schaukelbewegung und einem 60db weißen Rauschen einschläft.
Aber diese Runden. Hab mir ja nichts darunter vorstellen können. Die Herde sitzt im Kreis, da wird gequatscht und ausgetauscht. Alles super soweit. Dann beginnen wir die Runde. Und dann wird gesungen und mit den Händen und Fingern gewackelt, während dich dein Kind ansieht als hättest du jetzt komplett einen an der Waffel. Peinlich berührt sitze ich da, mein Kind am Schoß schaut schockiert von der Runde zu mir und wieder retour. Ich kann beim Schneckenlied nach der 3. Strophe noch immer nicht mitsingen und bewege meinen Mund wie ein Fisch im Wasser, fuchtle mit einer Hand ein bisschen mit und fühle mich unglaublich dumm. Das denken sich sicher auch alle anderen Kinder, die gar nicht in der Runde sitzen, sondern auf der anderen Seite des Raumes miteinander spielen. Diese Herde lasse ich weiterziehen. Definitiv.
Generationen-Herde aka die richtige “Müttermafia”
Liebe Omis. Bitte. Bitte. Bitte. Ich flehe euch an, lasst uns unsere eigenen “Fehler” machen. Ihr hattet bei euren Kindern die Chance, alles so zu machen, wie ihr euch das dachtet. Jetzt sind wir dran. Eure Erfahrung ist oft keine jahrzehntelange sondern eine von vor Jahrzehnten! Eure Ratschläge sind gut gemeint und werden dankend erhört und auch oft versucht. Aber manche Dinge ändern sich. Vom Wissensstand her. Von der eigenen Situation her. Von der Gesellschaft her. Ihr habt alles nach besten Wissen und Gewissen richtig gemacht und ja, aus uns ist auch was geworden und wenn nicht, dann wissen wir Gott sei Dank nicht, welche unserer Macken daher kommt, dass ihr uns mit Fencheltee vollgestopft habt oder ab 4 Monaten schon Schokopudding gefüttert habt, dass ihr uns auch mal schreien gelassen habt, damit ihr uns nicht verwöhnt usw.
Ihr könnt uns gerne sagen, was ihr gemacht habt, oder was wir versuchen könnten, solange es Ratschläge sind und keine Vorwürfe und solange ihr unsere Meinungen dazu auch respektiert.
Mir ist nur eines wichtig – bei allem anderen kann man wirklich geteilter Meinung sein, aber dieses Thema ist für mich absolut undiskutierbar:
Ja, wir verwöhnen unsere Babys was das Zeug hält! Wir geben ihnen soviel Liebe und Nähe und Geborgenheit, wie es unsere Kleinen verlangen. Davon kann es nie ein Zuviel geben. Also lasst euch bloß nicht von dieser Generationen-Herde niedertrampeln. Auch wenn es alle gegen einen heißt. Die Kleinen haben nur eine Mama und die soll doch bitte um Gottes Willen auf der Seite des Kindes stehen. Und nach besten Wissen und Gewissen und vor allem Bauchgefühl, Liebe und Nähe geben dürfen, soviel sie will. Die einzigen Personen, die uns das vorwerfen dürfen, sind unsere eigenen Kinder. Später mal. Wenn man wieder alles anders macht und wir selbst dann hoffentlich nicht zu dieser radikalen Art von Mama-Herde gehören.
4 Comments
[…] Fragen seiner Kinder zu geben. Sind wir vor einem Jahr noch im Kreis gesessen (siehe “Mütter sind keine Herdentiere”) und haben unabhängig nebeneinander, dafür aber nicht einsam, unsere Kinder vorm Sterben […]
So treffend! 🙂 Ich glaube wir waren in der selben Spielegruppe. Dachte schon ich bin die einzige die sich so fehl am Platz fühlt!!! ???
Liebe Grüße
Sonja
? wahrscheinlich denkt jeder so und keiner weiß es und es wäre allen geholfen, wenn nur einer mal sagen würde: „Hey scheiss drauf, heute machen wir einfach mal ne Flasche Wein auf!“ ?
[…] Und wer noch nicht weiß, wie das vor 11 Monaten abgelaufen ist, kann es sich im Beitrag “Mütter sind keine Herdentiere” gerne vorab […]