Episoden einer Alterskrise Part I

Ich habe wirklich kein Problem mit dem Alter. Bin ja schließlich ein Freund der Zahlen und weiß als rational denkender Mensch, dass nach 1 nun mal 2 kommt, da brauch ich erst gar keine mathematischen Beweise abliefern. Außerdem war diese gefürchtete Altersgrenze, von der alle sprechen, ja immer meilenweit entfernt. Aber dieser leicht kurvige Weg Richtung 30 hat sich jetzt in eine Gerade verwandelt, an deren Ende ein Check-in wartet inklusive Starterpack und irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich mich diesem Ding unmöglich asymptotisch nähern kann, sondern gradewegs durchrasen werde. Noch nicht dieses, aber vielleicht nächstes Jahr. Und mit dem hätte ich ja auch noch kein Problem. Bin ja schließlich noch immer jung geblieben im Herzen (und manchmal auch im Geiste) und habe mir auch keine wahnsinnigen Milestones gesetzt, was ich bis wann erledigt haben will. Aber dann kam Snapchat …
Recherchearbeit #Snapchat
Das kann es doch nicht sein, dass man so eine primitive App nicht auf Anhieb versteht!1!!!!11 Ich lade mir dieses gelbe, speichertötende Monstrum auf mein super-hipster Smartphone und muss gleich einmal feststellen, dass ich keine Ahnung habe, wo man da wie hinklickt, ein Menü findet, ein Foto macht, geschweige denn zu irgendwelchen Filtern kommt. Hab’s dann wieder gelöscht – wenn ich das nicht kapiere, kanns usability-technisch nur ein Komplett-Verhau sein. So. Und dann flaut dieser Hype einfach nicht ab. Über ein Jahr lang poppt dieses Scheiß-Ding im Social Media Mix auf. Also was mach ich. Pass auf, schlau und Geheimagenten-tauglich, wie ich bin. Lauf ich also vollkommen cool bei unserem Nachwuchs in der Arbeit vorbei und sag vollkommen nebenbei zu einer anderen Kollegin, wie unglaublich nice Snapchat ist. Die Kleine bekommt natürlich Lauscher. Und auf dem Mund gefallen ist sie auch nicht, also bringt sie sich gleich konstruktiv ein. Mit ihrer Meinung. Und faselt irgendwas von Punkten und Stories und Sticker und blabla. Ich notier mir gleich alles im Geiste mit, habe aber keine Ahnung, ob wir grade wirklich von der selben App reden. Hakuna matata. Nur die Ruhe. Keine taktischen Fehler jetzt. So zwischen Geek und Geek erzähle ich ihr im Vertrauen, dass ich das ja eigentlich nur für Bilder, die keiner sehen bzw. speichern soll nutze (hab ich ja brav recherchiert). Ja, jetzt lacht ihr vielleicht. Vollkommen blöde Idee, das zu sagen, ich weiß es mittlerweile. Sie kennt sich ja schließlich aus. Braves Mädchen. Meint dann mit einem schmutzigen Grinsen, dass Snapchat ursprünglich ja auch für nicht-jugendfreie Bilder gemacht wurde. So nicht meine Dame! Sagt mein Blick, widerlegen allerdings meine sehr gut durchbluteten Wangen. Das war so nicht gemeint, ehrlich jetzt. Glaubt sie mir aber nicht (und die, die mich kennen vielleicht auch nicht). Ich lenke ab indem ich ihr erzähle, dass ich ja noch nicht viele Freunde habe, weil die das alle nicht checken, die Honks. Toll, gleich darauf habe ich meinen ersten Snapchat-Freund, der 12 Jahre jünger ist als ich und hoffentlich nicht auf obszöne Fotozusendungen hofft. Zurück an meinem Schreibtisch, lade ich diese verdammte App dann gleich nochmal runter und mache etwas, das ich noch nie in meinem Leben getan habe und für das ich mich heute noch schäme: Ich google eine Gebrauchsanweisung für Snapchat. Meine unfreiwillig in die Diskussion mit reingezogene Kollegin kugelt sich mittlerweile vor Lachen.
Viva la Video
Nachdem ich ja voll jung bin und so, lese ich natürlich nichts, sondern such mir aus dem Artikel gleich den Youtube-Link raus. Hands-on Snapchat! Jetzt geht’s ab. Voll easy wie das funktioniert, hab ich ja gleich gewusst, dass man da nicht viel können muss. Und vor allem nicht viel nachdenken. Einfach machen. Und darum sitze ich jetzt da und mache mich in aller Öffentlichkeit zur Witzfigur, indem ich mit meinem Smartphone in der Hand den Mund aufreisse, die Augenbrauen hochziehe und über beide Ohren in die Kamera grinse. Nichts ist mehr so wie früher. Mittlerweile glaubt ohnehin jeder, ich sei vollkommen auf Drogen, pflege ich doch nun eine sehr innige Beziehung mit meinem Smartphone und dem einen Snapchat-Freund. “Online-Trends-Recherche” nenn ich das Ganze offiziell und schieße noch voll-wichtig ein paar vollkommen sinnfreie Fachbegriffe hinterher, damit da mal Ruhe ist. Das Gute daran: Meine Freunde wollen mich gerne verstehen und sind nun auch auf den Zug aufgesprungen (tja die haben gesehen, welche gute Farbe diese Filter an die Backerl zaubern)! Und mittlerweile schicken wir uns regelmäßig nette Bildchen, auf denen wir geschminkt mit Blumen im Haar jede Menge Jugendlichkeit versprühen. Und das vollkommen jugendfrei! Ja das geht. Gut sogar. Und wenn man das jeden Tag mit seinen “besten Freunden” macht, dann gibt es sogar eine Serie und das heißt Punkte und das heißt Sucht und ihr wisst ja: Das Gadget, das mich versklavte und so… Ich Opfer.
Aber damit nicht genug. Jetzt wo ich mich wieder selbst verjüngt hab, ziehe ich diese Dinge ganz magisch an und bin nicht mehr aus dieser Szene rauszubekommen. Denn letzte Woche passierte etwas, das mich noch tiefer in die Geek-Szene reinzog: Und das heißt Pokémon Go … (tbc)