Wie ich durch Sushi-Essen zum Kannibalen wurde

Ich habe die schönsten fünf Tage, die man sich überhaupt nur vorstellen kann hinter mir. Allerdings fand diese langanhaltende Glücksphase ein sehr brutales Ende, dessen Kommen ich nach und nach gesehen habe – rückblickend betrachtet. Alles hat darauf hingedeutet. Aber ich war einfach zu manipuliert von der Wohlfühl-Industrie. Ich glaube mittlerweile auch, dass ich mich in einem Trance-ähnlichen Zustand befand, damit ich das nicht kommen sehe, Stress bekomme und damit meinen wunderbar vorbereiteten Körper ruiniere.
Aber von vorne…
Die drei tollen Tage, die wir einmal im Jahr haben, standen bevor. Wellnessurlaub in der 4****s Oase, abgeschieden von jeglicher Zivilisation an der tschechischen Grenze. Wundervoll (ja und dort hört dich auch keiner schreien – sehr intelligent!).
Nach dem Ankommen fanden wir natürlich nirgendwo im ganzen Hotel einen Liegeplatz. Und das, obwohl nirgendwo Menschen zu sehen waren. Es war lediglich alles mit Handtüchern besetzt. Was mir die Idee meines ursprünglichen Blog-Eintrages ins Köpfchen pflanzte. Ich glaube aber, dass es dazu noch viele Anlässe geben wird. Außerdem ist mein ursprünglicher Hass auf diese markierfreudigen Schrumpelrosinen mittlerweile verflogen. Aber das Foto dazu dürft ihr trotzdem sehen:

Tja wie gesagt. Wäre ein toller Eintrag geworden, hätte ich in genau diesem Moment losgetippt.
Ich hatte jedoch was anderes vor – nämlich eine ganz tolle Massage. Bzw. ein ganz tolles Mädchen. Die Julia war wirklich nett und konnte sich sogar an mich erinnern, waren wir ja immerhin schon das 5te Jahr in Folge hier zu Gast (und wir haben’s immer noch nicht geschnallt, was die da mit uns machen). Und dann Ayurveda. Kann nur toll sein, sowas indisches. Dann wird mir was von irgendwelchen Typen erklärt – hab nicht so genau zugehört, auf jedenfall erzählte sie mir was von der Dosha-Familie oder so: Pitta, Kapha und (der) Vata. Und wenn du da mit nichts daliegst und dir irgendsoeine Story anhörst, wirst du dann gefragt, wen du nimmst. Ich meine “Hallo – ich kenn die Typen gar nicht!” Außerdem bin ich verlobt. Hab mir dann einfach den ersten genommen, sie meinte der passt recht gut zu mir. Na dann, Julia wird das schon wissen. Und dann meinte sie noch, bevor ich wegnickte, ich werde als Ölsardine wiedergeboren. So eine Lustige. Und dann träufelt sie schon Sesamöl auf meinen Kopf und der Rest folgt und ich muss echt aufpassen wenn ich mich umdrehe, dass ich nicht unter den Tisch flutsche.
Merke:
Wenn dich jemand am ganzen Körper einölt und dir das Ganze ins Fleisch massiert, werde skeptisch! Vor allem wenn du nach Sesamöl duftest.
Nachdem ich wieder zu unserem nicht vorhandenen Liegeplatz flutsche, bin ich tiefenentspannt und nur ein bisschen enttäuscht, dass Pitta nicht mal Hallo gesagt hat.
Am Abend gibt es dann echt Köstliches zu essen. In 6 Gängen. Und danach Cocktails und Live-Musik. Und alle sehen hier so glücklich und entspannt aus.
Merke:
Wenn du eingeölte Menschen siehst, die gut gegessen haben und nun zufrieden Musik hören und dir kommt gleichzeitig dieses eine Bild mit den glücklichen Schweinchen am Hof, die massiert werden und Mozart hören in den Sinn — pack am besten sicherheitshalber schon mal die Koffer.
Am nächsten Tag dann hab ich mein 2. Date. Diesmal mit Lena. Lena war so nett und hat schon mal Alufolie auf den Tisch ausgebreitet, damit das Öl dann dieses Mal nicht so runtertropft wahrscheinlich. Aber als mich dann die liebe Lena mit Algen bestreicht und einwickelt, wird mir ein bisschen anders. Vor allem weil ich mich in meinem Alufolien-Röllchen nicht mehr bewegen kann. Und an meinem Körper blubbert es komisch. Ich glaube ich koche. Mich hört aber niemand schreien (eh schon wissen, Grenze – Tschechien – Abgeschiedenheit – Oh mein Gott: Organhandel!!!!).
Ich bin nur froh, dass Lena es mit der Angst zu tun bekam und mich wieder auswickelte und unter die Dusche schickte. Dann hat sie meine Speckröllchen noch ein bisschen gestreichelt (war wohl eine Entschuldigungs-Geste) und ich bin wieder tiefenentspannt.
Merke:
Wenn aus dir schon jemand ganz offensichtlich ein Sushi-Röllchen macht, dann herrscht Alarmstufe rot und du sollst endlich abhauen! TROTTEL!!!!
Am nächsten Tag nehmen wir dann die Beine in die Hände und fahren nach Hause. Aber natürlich ganz traurig, weil eigentlich wollten wir noch gerne weiterverarbeitet werden. Eine richtige Sekte, die wir da mittlerweile angehören.
Ich hätte diese kurzen aber doch vorhandenen Schreckmomente aufgrund meiner äußersten Tiefenentspannung und Glückseligkeit ja schon wieder vergessen, wenn da nicht der Tag 4 gewesen wäre.
Ein echt toller Tag. Das 10-er Jubiläum von Sushimi und mir. Und der endete wie immer in der Sushibar. Und als dann dieses Maki-Sushi vor mir lag, zufrieden und tiefenentspannt, gerne für mich gestorben, fiel es mir wie Schuppen von den Augen:
Das Leben ist eine Rekursion. Wir bezahlen dafür, dass wir Handtüchern unseren Platz im Leben übergeben, nur damit wir unser Fleisch in eine mehrtägige Vorbereitungsphase schicken können: Massagen, Öle, Gewürzbehandlungen. Und dann noch von innen aufgepeppt werden: Sülzchen, Süppchen, Seehecht, Schweinerückensteak, Lammkronen, Kichererbsenragout, Schokoküchlein. Und wenn du nicht rechtzeitig abhaust, landest du irgendwann am Teller eines Sushi-Restaurants. Genauso lag ich da! Mit Algen und eingewickelt. Und ich hab’s gern gemacht. Und das kleine Maki vor mir hat das sicher auch gern gemacht. Und Sashimi neben mir frisst bereits seine Wellnesskollegen auf. Ich hoffe nur, es war im früheren Leben nicht diese Schrumpelrosine vom ersten Tag. Geschmeckt hat er jedoch noch gut. Vielleicht war es ja Pitta, den ich nie zu Gesicht bekommen habe…